De Stijl und die Nachfolge

Vor 100 Jahren begründeten die Künstler Theo van Doesburg, Piet Mondrian, Vilmos Huszár, Bart van der Leck und Georges Vantongerloo, die Architekten Robert van't Hoff, J. J. P. Oud und Jan Wils sowie der Dichter Antony Kok die Gruppe „De Stijl“. 1918 kam noch der Architekt Gerrit Rietveld und 1922 Cornelis van Eesteren hinzu. 1924 folgte der Maler Friedrich Vordemberge-Gildewart.

Es wurde eine monatliche Zeitschrift mit dem Titel „De Stijl“ publiziert, in der die Ideen und Ansichten der Künstler formuliert wurden. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass nichts weniger als ein neuer Mensch und damit verbunden eine neue Gestaltung angestrebt wurden. Mondrian, der sich zuvor intensiv mit dem Studium der Theosophie befasst hatte, war der strengste Vertreter der Lehre von der neuen Gestaltung. Die Kunst war für ihn ein Katalysator, um über individuelle mystische Erfahrung eine transzendental überreligiöse Einsicht zu erlangen. Somit können seine Werke, die auf einfachen aus horizontalen und vertikalen Linien aufgebauten Kompositionen basieren, neben ihrer klaren, unmissverständlichen und nahezu mathematischen Struktur auch als Ausgangspunkt zur Meditation dienen. Eine Idee, die bis heute nichts an Aktualität verloren hat.

Van Doesburg hingegen begegnete der Gestaltung dieser neuen Kunstrichtung offener und führte sogar die Diagonale als Bildelement ein, die Mondrian zeit seines Lebens ablehnte.

Im Manifest von 1918 formulieren van Doesburg und Mondrian in den Paragraphen 3 bis 6 Folgendes:

3. Die neue Kunst hat das, was das neue Zeitbewusstsein enthält, ans Licht gebracht: gleichmäßiges Verhältnis des Universellen und des Individuellen.
4. Das neue Zeitbewusstsein ist bereit, sich in allem, auch im äußerlichen Leben, zu realisieren.
5. Tradition, Dogmen und die Vorherrschaft des Individuellen (des Natürlichen) stehen dieser Realisierung im Wege.
6. Deshalb rufen die Begründer der neuen Bildung alle, die an die Reform der Kunst und der Kultur glauben, auf, diese Hindernisse der Entwicklung zu vernichten, so wie sie in der neuen bildenden Kunst – indem sie die natürliche Form aufhoben – dasjenige ausgeschaltet haben, das dem reinen Kunstausdruck, der äußersten Konsequenz jeden Kunstbegriffs, im Wege steht.

Dieses Statement haben sich seitdem zahlreiche Künstler bewusst oder unbewusst zu Herzen genommen. Die Nachfolge des „De Stijl“ ist vielfältig und international. Aus Anlaß des 100. Jahrestags der Gründung des „De Stijl“ widmet sich das Arithmeum in dieser Ausstellung der Spurensuche: Welche Künstler haben die Formensprache des „De Stijl“ aufgegriffen, über nommen, abgewandelt oder neu interpretiert? In 100 Jahren hat die Nachfolge des „De Stijl“ gezeigt, wie universell die damals begründete Kunstrichtung ist. Bis heute werden basierend auf den Grundformen: Rechteck, Quadrat, Dreieck und Kreis sowie klaren Farben: rot, blau, gelb, orange, grün und violett, aber auch weiß, schwarz und grau Kunstwerke geschaffen, die zeigen, welche Vielfalt in diesem elementaren Ansatz enthalten ist.

Die Idee des Überindividuellen, die van Doesburg und Mondrian einst formuliert hatten, wird durch die Nachfolge-Kunstwerke konterkariert, die in der Reduktion und Konzentration auf das Wesentliche in feinen Nuancen doch wieder das Individuelle und Einzigartige herausarbeiten. So wird der Kunstbetrachter sensibilisiert, diese feinen Unterschiede selbst mit seinen Blicken zu erforschen.

Wir leben heute in einer Zeit, in der das Stadium überwunden gilt, in dem für Werke dieser Kunstrichtung stets nur festgestellt wurde: „Das sieht ja aus wie Mondrian“. Vielmehr ist es uns möglich, im Vergleich der unterschiedlichen Künstlerpositionen individuelle Konzepte und Schwerpunkte zu entdecken. Trotz aller Eigenheiten der einzelnen Werke geht die Idee, das große Ganze dieser Kunstrichtung, aber bei keinem der ausgestellten Kunstwerke verloren.

Lassen wir uns auf die stringenten und klaren Kompositionen aus nahezu einem Jahrhundert mit all unseren Sinnen ein, so ist auch heute die von Mondrian prophezeite mystische Erfahrung nicht ausgeschlossen. Erlauben wir uns einen unvoreingenommenen Blick auf diese Kunst jenseites der Vorurteile über Kälte, mathematische Grundstruktur und Einengung der künstlerischen Ausdrucksformen und entdecken das Besondere und Einzigartige für uns selbst. So erschließt sich auch 100 Jahre nach der Begründung dieser Kunstrichtung, die auch das Leben einbeziehen sollte, ein Weg, der uns über unser alltägliches Dasein hinausführen kann und uns Lichtblicke ermöglicht.

Die Ausstellung zeigt Werke der De-Stijl-Künstler Theo van Doesburg, Caesar Domela und Gerrit Rietveld. Die Nachfolge ist vertreten mit Werken internationaler Künstler von Anni Albers bis Beat Zoderer.

Cesar Domela: aus: Zehn konstruktive Studien, Holzschnitt, 36 x 29 cm, 1924 / 1973, Sammlung Arithmeum, Arith.-Nr. 260-3. © Arithmeum
Piet Mondrian / Michel Seuphor: Tableau Poeme, Siebdruck, 75 x 59,5 cm, 1928, Sammlung Arithmeum, Arith.-Nr. 234. © Arithmeum