Geometrie und Raum

Öffentliche Führung: Jeden Sonntag um 15:00 Uhr

Geometrie aus der Fläche in den Raum zu transferieren war immer schon faszinierend und hat berühmte Mathematiker und Künstler seit alters her beschäftigt. So hat beispielsweise Euklid (3. Jh. v. Chr.) bereits in seinem Werk der „Elemente” in den letzten drei Büchern die Stereometrie behandelt (Arithmeum Library: Euklid: [Elementa] (lat.) Vicenza, 1491 [Elementa] (griech.) Basel, 1533).

In dem berühmten Buch „De divina proportione” von Luca Pacioli, das 1509 in Venedig gedruckt wurde, erschien eine Übersetzung des Traktats von Piero della Francesca, der uns heute vor allem als Künstler bekannt ist, der seinerzeit aber auch ein berühmter Mathematiker war, „Libellus in tres partiales tractatus divisus quinque corporum regularium”. Leonardo da Vinci illustrierte diese fünf regelmäßigen, auch Platonische Körper genannten Polyeder, denen er jeweils ein durchbrochenes Exemplar zugeordnet hat. Diese Zeichnungen hat Leonardo da Vinci zu Lebzeiten zum Druck durch Pacioli freigegeben. Sie zeigen besonders anschaulich die Auseinandersetzung mit Geometrie und Raum im Zeitalter der Renaissance. Mathematik, Ästhetik und Kunst ließen sich nicht trennen.
Albrecht Dürer, der von der italienischen Renaissance und deren Hauptprotagonisten stark beeinflusst wurde, hat in mathematischen Werken zur Perspektive gründlich untersucht, wie ein dreidimensionaler Körper korrekt in der Fläche dargestellt werden kann.
Schließlich hat Johannes Regiomontanus 1533 in seinem in Nürnberg gedruckten Werk „De triangulis omnimodis libri quinque” ausführlich die sphärische Geometrie vorgestellt. Nur Klaudios Ptolemaios war mit seinem „Alma gestum seu magnae constructionis mathematicae opus”, das in Venedig gedruckt wurde, 5 Jahre früher.

Ende des 16. Jahrhunderts haben sich zahlreiche berühmte Autoren diesen Fragestellungen gewidmet: Peter Apian veröffentlichte 1574 in Antwerpen seine faszinierende Cosmographia. Christoph Clavius schrieb 1586 in Rom das Opus „Theodosii Tripolitae sphaericorum libri tres” und schloss 1591 in Venedig das Buch „In sphaeram Ioannis de Sacro Bosco commentarius” an. 1583 wurde die „Geometria rotundi libri XIII” von Thomas Fincke in Basel gedruckt. Acht Jahre später kam das Werk „Triangulorum geometriae libri quatuor” von Philipp von Lansberge in Leiden heraus, und schließlich veröffentlichte Bartholomaeus Pitiscus im Jahr 1600 in Augsburg den Text „Trigonometriae sive, de dimensione triangulorum libri quinque”, der 5 Jahre zuvor bereits in Abraham Scultetus „Sphaericorum libri tres” in Heidelberg in ähnlicher Form gedruckt worden war.
Diese meist reich illustrierten Rara sind in der historischen Buchsammlung des Arithmeums, der ArithmeumLibrary, im Original zu finden.

Zahlreiche moderne Künstler, die sich der geometrisch konstruktiven Kunst zugewandt haben, kommen in ihren Werken an einen Punkt, an dem sie sich intuitv nicht nur mit der Fläche, sondern auch mit dem Raum auseinandersetzen.
Diese Auseinandersetzung mit dem Raum kann auf den ersten Blick sehr einfach in Form optischer Rhythmisierungen von farbigen Streifen erfolgen, wie bei Gene Davis, Jean Legros, Roberto Miniati oder Anton Stankowski. Die Ausgangsidee Streifen als Kompositionselement zu verwenden war bei allen genannten Künstlern eine andere.
Gene Davis versuchte den Rhythmus des Jazz über seine Streifenbilder sichtbar zu machen und in den Raum zu transferieren. In seinen Bildern sind die Vibrationen der musikalischen Kompositionen in den Farbkontrasten nahezu dreidimensional greifbar.
Jean Legros konnte mit Hilfe von Streifenkompositionen die Ästhetik von dreidimensionalen Landschaften in die Fläche übertragen. Ohne störende Details wurde für ihn die Essenz in einem horizontalen Streifenrhythmus sichtbar.

Anton Stankowski macht hingegen schon im Bildtitel darauf aufmerksam, dass seine Komposition auf einer Systematik beruht, die der Betrachter sich in Kontemplation erschließen kann. Trotz der als grafische Elemente verwendeten Streifen entsteht durch die Farbwahl eine gewisse Räumlichkeit. Dass hier gleichzeitig einer seiner berühmtesten Entwürfe, nämlich die Form des Logos der Deutschen Bank variiert wird, ist auch noch festzustellen.

Roberto Miniati hingegen bricht das System und die Strenge der durchgehenden Streifen auf und facettiert seine Bildoberfläche. Die Kleinteiligkeit in Kombination mit einem gewissen Mangel an Präzision lässt dieses Werk eher nur entfernt der geometrisch-konstruktiven Kunst zurechnen, verleiht ihm aber umso mehr Poesie und erweckt den Eindruck von Zufälligkeit. Dadurch dass die farbigen Streifen sich überlagern, scheint eine Räumlichkeit im Bild Einzug zu halten, die im Werk „Pioggia Miracolosa” tatsächlich einem dichten wundersamen Farbregen gleicht. Als gelernter Uhrmacher und Gemmologe versucht er mit seiner Kunst der professionellen Welt der Präzision zu entfliehen, obwohl er in der Wahl seiner Grundformen der Geometrie verhaftet bleibt.

Andere Künstler wie Victor Vasarely, Richard Anuszkiewicz oder Nathan Cohen täuschen in ihren Kompositionen gezielt Perspektive vor um optische Täuschungen hervorzurufen. Vasarely sprach in diesem Zusammenhang auch von einem optischen „perpetuum mobile”, da seine Kuben im Auge des Betrachters in stetigem Wechsel vor- und zurückspringen. So hat Vasarely in seinem Werk Tridium seine Kuben, die er als „Unités plastiques” bezeichnete, so angeordnet, dass es optische Bewegungen in horizontaler und vertikaler Richtung gibt. Er galt mit seinen Arbeiten daher auch als Begründer der Op(tical)-Art.

Im ersten Moment wirkt das Werk „Volumes” von Richard Anuszkiewicz ruhiger und klarer, was die optische Täuschung betrifft, doch entwickelt sich aufgrund der feinen Linien auf den Parallelogrammen, die als Seitenflächen von drei Würfeln gesehen werden können, eine Sogwirkung, die den Betrachter in ihren Bann zieht.

Diese Klarheit lässt die kantige Struktur von Nathan Cohen vermissen. Bei seinem „Crystal” handelt es sich eher um eine naturbelassene Form, die ihre unterschiedlichen Facetten hauptsächlich durch ihre Farben zur Geltung bringt. Auch wenn diese Form ihrer eigenen Geometrie folgt, greift sie schwebend in den Raum.

Mancher Künstler, wie beispielsweise Hansjörg Glattfelder, wagt tatsächlich den Schritt in die Dreidimensionalität, wie beispielsweise in dem Werk „Pyr 273”. Im Vorbeigehen ändert sich der Geometrie. Gerade Linien werden zu gezackten Streifen und Gelb wechselt zu Grün.
Dass konkrete Künstler aber auch mit sphärischer Geometrie experimentieren, ist eher selten.

Intutiv hat sich Jo Niemeyer diesem Thema genähert, als er versuchte eine Antwort auf die Frage zu finden, wie ein Quadrat aussehen muss, wenn es auf eine Kugel projiziert wird, wie beispielsweise die Erdoberfläche, damit wir als Betrachter es immer noch als Quadrat wahrnehmen. Daraus ist ein spannendes Projekt entstanden, das eine Momentaufnahme einer Abwicklung eines Quadrats in ein flächengleiches Kreis segment zeigt. So kann eine elementare Frage die streng „geometrische Welt aus den Angeln heben” und wir finden uns ganz schnell bei den mathematischen Anfängen wieder.

Auch heute können Geometrie und Raum noch eine große Faszination ausüben und darüber hinaus können wir uns dem ästhetischen Reiz dieses Zusammenspiels kaum entziehen.
Dabei kann sich die Idee des Künstlers dem Betrachter auch in elementaren geometrischen Kompositionen erschließen, wie bei Max Wiederkehr (Titelbild, o.T., o.J., Acryl auf Leinwand, 90x90 cm, Arith.-Nr. 1375), der von indischen Mandalas inspiriert wurde, oder in der „Komposition mit trennender Kurve” von Günter Fruhtrunk, der die Vorstellung hatte, seine Werke seien ein essentieller Ausschnitt aller Energie im Raum - wobei er sich dabei ausdrücklich nicht nur auf die Erde beschränken wollte. Insofern bekommt die Idee des Raums bei ihm noch einen übergreifenderen Charakter, der sich von der Idee von Raum in der Mathematik nicht zwangsläufig unterscheiden muss.

Neben den hier genannten Künstlern werden in der Ausstellung im Arithmeum zahlreiche weitere unterschiedliche Positionen vorgestellt, die uns auf eine Entdeckungsreise in die vielfältige Welt von Geometrie und Raum senden.

Wir freuen uns in dieser Ausstellung auch einige Neuerwerbungen aus der Sammlung des Arith meums präsentieren zu können. Die Kunstsammlung des Arithmeums zeichnet sich - wie diese Ausstellung zeigt - auch dadurch aus, dass zeitgenössische Künstler, die sich dieser Kunstrichtung verschrieben haben, mit ausdrucksstarken Schlüsselwerken vertreten sind.

Öffentliche Führung: Jeden Sonntag um 15:00 Uhr
Eine vorherige Anmeldung ist nicht notwendig.