Jesus Rafael Soto

Tes Pequenas Blancas y Negras, 1979

Der Venezuelaner Jesus Rafael Soto ist der erste lateinamerikanische Künstler, der in der konstruktiven Kunst eine bedeutende Rolle spielt. 1950 nach Paris gezogen, war er besonders für die Entwicklung der optisch-kinetischen Kunst, die zu dieser Zeit in Paris ihr Zentrum hatte, von großer Bedeutung. 1951 schuf er erstmals, angeregt von der Beschäftigung mit Werken Mondrians, Malewitchs und des Bauhauses ein geometrisches Pattern, das aus einer steten Wiederholung einer Grundform bestand. Diese Wiederholungen bestanden in reinen Strukturierungen der Oberfläche und können unendlich weitergeführt werden. Somit ist das Bild letzlich nur als Ausschnitt zu verstehen. Diese Möglichkeit der unendlichen Ausdehnung ließ Soto vom „universellen Charakter„ seiner Werke sprechen. Das serielle Ordnungssystem Sotos führt dazu, daß die Einzelelemente des Kunstwerks ihre Individualität verlieren und nur noch als Teil des Gesamten wahrgenommen werden.

So sind hier die T-förmigen Drähte auf den ersten Blick nicht als Einzelelemente wahrnehmbar, sondern der Effekt der von ihnen ausgeht. Genau auf die jeweils andersfarbigen Streifen der schwarzen und weißen Grundfläche gesetzt, lösen sie beim Wechsel des Blickpunktes das Gefühl von irritierender Bewegung aus. Dies liegt daran, daß bei ganz zentralem Blickpunkt auf genau eine vertikale Linie im Bild diese von den hervorstehenden Drähten so verdeckt wird, daß die Hintergrundfarbe hier teilweise nicht unterbrochen zu sein scheint. Bewegt man jedoch den Kopf minimal hin und her, verschiebt sich der Draht so, daß der darunterliegende Streifen wieder voll sichtbar wird. Diese Verschiebung der Ebenen und die Überdeckung der Streifen auf der Hintergrundfläche lösen eine Vibration im Auge des Betrachters aus. Das Bild scheint zu flirren, nicht wirklich greifbar zu sein.

Verwendet Soto in einigen Werken neben Schwarz und Weiß noch weitere Farben, so setzt er diese sehr pointiert ein. Bei seinen früheren Werken positionierte er vor einen ebenfalls Schwarz-Weiß gestreiften Hintergrund farbige Rechtecke. Diese haben ebenfalls einen Abstand zum Hintergrund und sind an den Kanten so abgeschrägt, daß dort auch der Bewegungseffekt entsteht. Diese Werke lassen sich jedoch nicht unbegrenzt weiterdenken, da ihnen eine gezielte Komposition zugrunde liegt.

Neben seinen „Bildern„ entwirft Soto auch ganze Rauminstallationen. So gibt es labyrintische Vorhangkonstruktionen aus unzähligen herabhängenden Nylonschnüren, die den Betrachter beim Durchgehen ebenfalls sehr stark irritieren. Er scheint sich in einem flimmernden, flirrenden und nicht mehr greifbaren Raumgefüge zu bewegen.

Anders sind seine herabhängenden dünnen Metallstäbe zu erfahren. Hier bewegt man sich wie in der unten stehenden Abbildung zu sehen um das Objekt herum und sieht sowohl innerhalb des Kunstwerks Bewegungseffekte, als auch im dahinterliegenden Raum.

Jesus Rafael Soto geht es bei seiner kinetischen Kunst sehr stark um die Irritierung des Betrachters. Er hinterfragt gewöhnliche statische Betrachtungsweisen und stellt diesen seine Kompositionen gegenüber. Das Bild wird im Auge des Betrachters ein stetig Fließendes, das nicht mehr greifbar ist, jedoch auch nur am Objekt selbst erfahren werden kann. Weder Abbildungen noch virtuelle Darstellungen seiner Kunstwerke können das reale Erleben des Betrachters vor und mit dem Werk ersetzen. Soto setzt mit seiner sehr direkten Kunst auf die Mitwirkung des Betrachters, denn erst in unserem Auge wird das Werk vollendet.